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Metamorphose bei Pflanze & Schmetterling

Christoph Hueck (DE)


Der Vergleich der Metamorphose zwischen Pflanze und Insekt (Schmetterling) ist ein instruktives Beispiel für das goetheanistische Studium gestaltbildender Kräfte. Im Beitrag Prinzipien der organischen Gestaltbildung wurde beschrieben, dass in beiden Metamorphosen aufbauende, substanzschaffende und abbauende, gestaltende Bildungskräfte zusammenwirken.


Das aufbauenden Bildungsprinzip wirkt zeitlich in rhythmischer Wiederholung ähnlicher Elemente von hoher Vitalität, während das abbauende, gestaltende Prinzip zu räumlich integrierten, differenzierten Gesamtgestalten führt, die oftmals weniger vital sind, dafür aber die Fortpflanzung durch zwei Geschlechter ermöglichen (biologisch spricht man von einer vegetativen und einer generativen Phase).

Entsprechungen zwischen Schmetterling und Pflanze: Ei/Samen, Raupe/Blatt, Puppe/Knospe, Imago/Blüte (Husemann 2015, S. 157)

Der Vergleich der Entwicklung von Pflanze und Schmetterling zeigt verblüffende Übereinstimmungen und charakteristische Unterschiede. Die Entsprechungen zwischen Samen und Ei, Blatt und Raupe, Knospe und Puppe sowie Blüte und Imago sind offensichtlich.


So werden die Blätter in rhythmischer Folge gebildet, während die Raupe nicht nur eine rhythmisch (metamer) gegliederte Körperform hat, sondern durch rhythmische Häutungen wächst und sich in einer rhythmischen Weise (durch Ausdehnung und Zusammenziehung) fortbewegt.

Bei der Pflanze bleiben die einmal gebildeten Formen erhalten, während die Raupe jeweils als Ganze umgestaltet wird. Die Pflanze zeigt sukzessive Ausdehnung und Zusammenziehung, beim Schmetterling ist es das simultane Erscheinen und Verschwinden des ganzen Organismus. Das wird am deutlichsten in der nahezu vollständigen Auflösung des Organismus in der Puppe und der Neugestaltung als Schmetterling. Die Umbildung des gesamten Organismus ist charakteristisch für die Entwicklung der Tiere.


Wie bei der Pflanze Ausdehnung und Zusammenziehung, so wechseln beim Schmetterling Ruhe und Beweglichkeit (Hoerner 1991). Dadurch werden nicht nur lebendige Wachstums- und Gestaltungskräfte sichtbar, sondern das seelische Leben des Schmetterlings erscheint durch seine physische Beweglichkeit.


Aber auch in der Blüte wirkt etwas Seelenverwandtes, denn die Farbe und der Duft zielen auf seelische Reaktionen der Tierwelt, und viele Samen werden durch Tiere verbreitet. Man kann sagen: Das Seelische, dass die Blüte gleichsam wie von außen umgibt, verkörpert sich im Schmetterling als inneres Empfinden und Begehren.


Dieser Zusammenhang wurde von Rudolf Steiner in einem Spruch zusammengefasst, in dem auch noch die Lebensbedingungen von Pflanze und Schmetterling berücksichtigt werden:


Schaue die Pflanze!

Sie ist der von der Erde

Gefesselte Schmetterling.


Schaue den Schmetterling!

Er ist die vom Kosmos

Befreite Pflanze.


Pflanze & Schmetterling

Pflanze

Schmetterling

Samen / Ei

Zusammenziehung, geringste körperliche Erscheinung, höchstes Entwicklungspotenzial

Passive Verbreitung durch Wind oder Tiere

Aktive Verbreitung durch Weibchen

Blatt / Raupe

Ausdehnung durch vegetatives Wachstum in Raum und Zeit, starke Vitalität

Rhythmische Wiederholung der Blätter

Rhythmische (metamere) Organisation der Körperform

Räumliche Ausdehnung in Stängel und Blattspreite, Kontraktion in Knoten und Blattstiel

Bewegung des Organismus durch Kontraktion und Expansion

Rhythmische Formveränderung von Blättern im Raum

Rhythmische Wiederholung von Formen in der Zeit

Knospe / Puppe

Kontraktion, Ruhephase

Neue Organe bereits vorhanden

Neue Organe durch Abbau und Umgestaltung

Blume / Falter

Expansion, ausdrucksstarke Erscheinung, komplexe und integrierte Gestalt mit unterschiedlichen, zarten Organen, stark reduzierte Vitalität, Geschlechtertrennung, sexuelle Fortpflanzung

Ausstrahlung im Raum durch Farben und Düfte

Ausbreitung in Raum und Zeit durch Fliegen

Beziehung zu inneren Erfahrungen

Anziehung von Tieren

Reaktion auf Blumen und Anziehung der Geschlechter

Literatur:


Grohmann, Gerbert: Die Pflanze. Ein Weg zum Verständnis ihres Wesens. Bd. I. Stuttgart 1959.


Hoerner, Wilhelm: Der Schmetterling. Metamorphose und Urbild. Stuttgart 1991.


Husemann, Armin: Form, Leben und Bewusstsein. Einführung in die Menschenkunde der anthroposophischen Medizin. Stuttgart 2015.


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