Christoph Hueck (DE)
Der Vergleich der Metamorphose zwischen Pflanze und Insekt (Schmetterling) ist ein instruktives Beispiel für das goetheanistische Studium gestaltbildender Kräfte. Im Beitrag Prinzipien der organischen Gestaltbildung wurde beschrieben, dass in beiden Metamorphosen aufbauende, substanzschaffende und abbauende, gestaltende Bildungskräfte zusammenwirken.
Das aufbauenden Bildungsprinzip wirkt zeitlich in rhythmischer Wiederholung ähnlicher Elemente von hoher Vitalität, während das abbauende, gestaltende Prinzip zu räumlich integrierten, differenzierten Gesamtgestalten führt, die oftmals weniger vital sind, dafür aber die Fortpflanzung durch zwei Geschlechter ermöglichen (biologisch spricht man von einer vegetativen und einer generativen Phase).
Der Vergleich der Entwicklung von Pflanze und Schmetterling zeigt verblüffende Übereinstimmungen und charakteristische Unterschiede. Die Entsprechungen zwischen Samen und Ei, Blatt und Raupe, Knospe und Puppe sowie Blüte und Imago sind offensichtlich.
So werden die Blätter in rhythmischer Folge gebildet, während die Raupe nicht nur eine rhythmisch (metamer) gegliederte Körperform hat, sondern durch rhythmische Häutungen wächst und sich in einer rhythmischen Weise (durch Ausdehnung und Zusammenziehung) fortbewegt.
Bei der Pflanze bleiben die einmal gebildeten Formen erhalten, während die Raupe jeweils als Ganze umgestaltet wird. Die Pflanze zeigt sukzessive Ausdehnung und Zusammenziehung, beim Schmetterling ist es das simultane Erscheinen und Verschwinden des ganzen Organismus. Das wird am deutlichsten in der nahezu vollständigen Auflösung des Organismus in der Puppe und der Neugestaltung als Schmetterling. Die Umbildung des gesamten Organismus ist charakteristisch für die Entwicklung der Tiere.
Wie bei der Pflanze Ausdehnung und Zusammenziehung, so wechseln beim Schmetterling Ruhe und Beweglichkeit (Hoerner 1991). Dadurch werden nicht nur lebendige Wachstums- und Gestaltungskräfte sichtbar, sondern das seelische Leben des Schmetterlings erscheint durch seine physische Beweglichkeit.
Aber auch in der Blüte wirkt etwas Seelenverwandtes, denn die Farbe und der Duft zielen auf seelische Reaktionen der Tierwelt, und viele Samen werden durch Tiere verbreitet. Man kann sagen: Das Seelische, dass die Blüte gleichsam wie von außen umgibt, verkörpert sich im Schmetterling als inneres Empfinden und Begehren.
Dieser Zusammenhang wurde von Rudolf Steiner in einem Spruch zusammengefasst, in dem auch noch die Lebensbedingungen von Pflanze und Schmetterling berücksichtigt werden:
Schaue die Pflanze!
Sie ist der von der Erde
Gefesselte Schmetterling.
Schaue den Schmetterling!
Er ist die vom Kosmos
Befreite Pflanze.
| Pflanze & Schmetterling | Pflanze | Schmetterling |
Samen / Ei | Zusammenziehung, geringste körperliche Erscheinung, höchstes Entwicklungspotenzial | Passive Verbreitung durch Wind oder Tiere | Aktive Verbreitung durch Weibchen |
Blatt / Raupe | Ausdehnung durch vegetatives Wachstum in Raum und Zeit, starke Vitalität | Rhythmische Wiederholung der Blätter | Rhythmische (metamere) Organisation der Körperform |
| | Räumliche Ausdehnung in Stängel und Blattspreite, Kontraktion in Knoten und Blattstiel | Bewegung des Organismus durch Kontraktion und Expansion |
| | Rhythmische Formveränderung von Blättern im Raum | Rhythmische Wiederholung von Formen in der Zeit |
Knospe / Puppe | Kontraktion, Ruhephase | Neue Organe bereits vorhanden | Neue Organe durch Abbau und Umgestaltung |
Blume / Falter | Expansion, ausdrucksstarke Erscheinung, komplexe und integrierte Gestalt mit unterschiedlichen, zarten Organen, stark reduzierte Vitalität, Geschlechtertrennung, sexuelle Fortpflanzung | Ausstrahlung im Raum durch Farben und Düfte | Ausbreitung in Raum und Zeit durch Fliegen |
| Beziehung zu inneren Erfahrungen | Anziehung von Tieren | Reaktion auf Blumen und Anziehung der Geschlechter |
Literatur:
Grohmann, Gerbert: Die Pflanze. Ein Weg zum Verständnis ihres Wesens. Bd. I. Stuttgart 1959.
Hoerner, Wilhelm: Der Schmetterling. Metamorphose und Urbild. Stuttgart 1991.
Husemann, Armin: Form, Leben und Bewusstsein. Einführung in die Menschenkunde der anthroposophischen Medizin. Stuttgart 2015.
Comments