Christoph Hueck (DE)
Teleologie ist ein Reizwort in der Naturwissenschaft. Das neuzeitliche Bewusstsein fühlt sich beim Gedanken an eine Zielrichtung in der Natur in seiner Autonomie und Freiheit bedroht.
Das war nicht immer so. Aristoteles beschrieb eine der Natur immanente Teleologie: »Daher sind manche ratlos, ob mit dem Geist oder etwas anderem die Spinnen ihr Werk vollbringen und die Ameisen und solche Tiere. Geht man noch ein wenig weiter, so wird deutlich, dass auch in den Pflanzen dem Ziel Zuträgliches entsteht, z.B. die Blätter zum Schutz der Frucht. Wenn denn von Natur aus und um eines Ziels willen die Schwalbe ihr Nest baut, die Spinne ihr Spinnennetz, sowohl die Pflanze ihre Blätter um der Früchte willen hat als auch die Wurzeln nicht nach oben, sondern der Nahrung wegen nach unten, so ist offenbar, dass es eine solche Ursache [nämlich eine Zielursache] gibt in den von Natur aus werdenden und existierenden Wesen.«[1] (Vgl. Spaemann & Löw 1991).
Außer der Zielursache beschrieb Aristoteles noch drei weitere: »Ein jedes zu wissen glauben wir nicht früher, als bis wir das Warum im Hinblick auf ein jedes erfasst haben, d.h. seine erste Ursache. … Auf eine Art nennt man Ursache das, woraus ... etwas besteht, z.B. das Erz der Statue und das Silber der Schale; auf eine andere Art aber die Form ... – das ist der Begriff davon, was es sein sollte, z.B. von der Oktave das Teilungsverhältnis der Saite zwei zu eins; außerdem das, woher der erste Anfang der Bewegung oder des Verharrens kommt – z.B. ist ... der Vater Ursache des Kindes und alles Verändernde des Veränderten; außerdem spricht man von Ursache im Sinne des Ziels, dies ist das Deshalb – z.B. vom Spazierengehen die Gesundheit. Warum geht man spazieren? Wir sagen: Damit man gesund bleibt. Und indem wir so sprechen, meinen wir, die Ursache anzugeben.«[2]
In der späteren Philosophie hat man die vier Ursachen als Formursache (causa formalis), Stoffursache(causa materialis), Wirkursache (causa efficiens) und Zielursache (causa finalis) bezeichnet. Die Formursache ist das ›Was‹ eines Dinges, das Urbild oder die Idee (gr. Eidos, ›das zu Sehende‹), die dessen wesentliche Eigenheit bewirkt. Die Stoffursache bezeichnet das ›Woraus‹, also das sinnlich wahrnehmbare Material. Die Wirkursache meint das ›Woher‹ oder das Bewirkende (sie entspricht der heutigen Auffassung einer Kausalursache), und die Zielursache das ›Wozu‹, den Zweck oder das Ziel.
Die Ursachenlehre des Aristoteles korrespondiert mit der Zeitstruktur eines lebendigen Organismus, wie sie in "Organismus, Zeit & Bewusstsein" beschrieben wurde.
Francis Bacon (1561-1626), einflussreicher Mitbegründer der modernen naturwissenschaftlichen Methodik, hat die aristotelische Ursachenlehre grundlegend kritisiert: »… nicht übel ist die Aufstellung von vier Ursachen: Materie, Form, das Wirkende und der Zweck. Von ihnen ist nun die Zweckursache nicht nur nutzlos, sondern für die Wissenschaften geradezu schädlich; sie gilt nur für das menschliche Handeln. An der Entdeckung der Form ist man verzweifelt; … In der Natur … existiert nichts wahrhaft außer den einzelnen Körpern mit ihrer besonderen, reinen, gesetzmäßig hervorgebrachten Wirksamkeit; in den Wissenschaften ist eben dieses Gesetz, seine Erforschung, Auffindung und Erklärung die Grundlage des Wissens wie des Wirkens.«[3]
Lebendige Organismen zeigen jedoch eine so offensichtlich teleologische Struktur und Entwicklung, dass die Teleologiefrage immer wieder aufflammt. So bei Kant in der Kritik der Urteilskraft und allgemein in der Philosophie des Lebendigen.[4] Der Philosoph Thomas Nagel hält sogar eine kosmische Teleologie für möglich: »Die teleologische Hypothese besagt, dass Leben, Bewusstsein und Werte nicht nur durch wertfreie Chemie und Physik bestimmt sind, sondern durch eine kosmische Disposition, die zu ihrer Bildung geführt hat.«[5]
Literatur:
[1] Aristoteles: Physik II 8, 199b 21-30.
Spaemann, Robert; Löw, Reinhard: Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens. München 1991.
[2] Aristoteles: Physik II 3, 194b 23-35.
[3] Bacon, Francis: Neues Organon. Erstes Buch. Hamburg 1990.
[4] Cf. Allen, Colin & Neal, Jacob: Teleological Notions in Biology. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2020 Edition). For a current discussion cf. also Zunke, Christine: Dialektik des Lebendigen. Kritik der organischen Teleologie. Bielefeld 2023.
[5] Nagel, Thomas: Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Berlin 2013.
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