Der Goetheanismus ist eine kontextorientierte wissenschaftliche Methode[1]
"Der Goetheanismus, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner angeregt wurde, ergänzt den Methodenkanon der Naturwissenschaften ... durch eine Herangehensweise, die die zusammenhangschaffende Funktion von Begriffen und die Qualitäten des jeweils besonderen Forschungsgegenstandes einbezieht." (S. 6)
"Goetheanismus ist eine Erkenntnishaltung, die in allen Wissenschaftszweigen ein sorgfältiges Sich-Einleben in die Phänomene schult, in denen sich er Forschungsgegenstand unter den verschiedensten Bedingungen ausspricht. Er bietet in zweierlei Hinsicht eine methodische Ergänzung der Naturwissenschaft: Erstens wird einem einseitig analytisch-atomistischen Denken eine methodisch geschulte, synthetisierende Tätigkeit zugesellt. Sie ergänzt das intellektuelle Lernen, indem sie das Ordnungsgefüge vielfältiger Sinneswahrnehmungen als ästhetische Erfahrung zu erfassen sucht. Die Präzision der experimentellen Logik gewinnt erst durch die Prägnanz der Beschreibung von Zusammenhängen und Gesamtgestalten ihre Relevanz für die Lebenswirklichkeit, in der uns Menschen, Tiere und Pflanzen begegnen. Zweitens entsteht in der eigentätigen Verbindung mit dem Forschungsgegenstand eine partizipative Haltung, die eine Verantwortlichkeit für Zusammenhänge weckt, in die die Ergebnisse der Wissenschaft hineinwirken." (S. 8)
Der Goetheanismus sucht nach der realen Ordnungsstruktur der Welt, indem er Wahrnehmungen und Begriffe sorgfältig zusammenführt; er kann wesentliche Beiträge zur Naturwissenschaft leisten[2]
"Der Goetheanismus geht davon aus, dass ... man in der realen Außenwelt deren Ordnungsgehalt erfahren kann und dass eine echte Objekterkenntnis möglich ist. Entscheidend ist, im Erkennen das Objekt in seiner Eigengesetzlichkeit zu erreichen und daran die Begriffe zu bilden - und nicht nur das vorzufinden, was der Verstand hineinlegt." (S. 189)
"What is special about Goetheanism is this sensitive bringing together of empiricism and theory, of perception and concept. ... A science that is in line with reality thus endeavours to illuminate experience with concepts that seek out its own qualities." (p. 189)
"Mit der Annahme der notwendigen Einheit von Erscheinung und Idee und der Realität des Ideellen unterscheidet [der Goetheanismus] sich von einer rein am Materiellen orientierten Naturwissenschaft. Dass das Ideelle genauso eine Wirklichkeit hat wie das Physische, wird heute in der Naturwissenschaft nicht gedacht. Aber der Goetheanismus wird damit nicht zu einer alternativen Wissenschaft. Alle Elemente sind in verschiedenen wissenschaftlichen Strömungen der Neuzeit vorhanden. Viele gute praktische Naturforscher gehen selbstverständlich davon aus, dass man das Ordnungsgefüge beschreiben muss, und dass die atomistische Reduktion durchaus nicht genügt." (S. 191)
Literatur:
[1] Edelhäuser, Friedrich; Richter, Ruth; Soldner, Georg: Goetheanismus und Medizin. Dornach 2022.
[2] Rosslenbroich, Bernd: Methodische Aspekte bei der Untersuchung der Autonomieentwicklung in der Evolution. In: Edelhäuser, Friedrich; Richter, Ruth; Soldner, Georg: Goetheanismus und Medizin. Dornach 2022, S. 187-203.
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